Wenn wir heute Rückschau halten auf die neunzigjährige Geschichte der Vereinigung, so blicken wir sicherlich auf eine Zeit der ereignisreichsten Entwicklung im gesellschaftlichen wie im technischen Fortschritt überhaupt zurück. Einen großen Anteil an dieser Entwicklung hatten auch die Nahverkehrsbetriebe mit ihren für die Massenbeförderung bestimmten Fahrzeugen. Zu dem bereits vorhandenen schienengebundenen Verkehr kamen gerade in der Gründungszeit der Vereinigung in sehr starkem Maße der Bus- und auch Obusbetrieb hinzu. Um mit der Technisierung Schritt halten und sich eine Möglichkeit der Weiter- und dauernden Fortbildung schaffen zu können, schlossen sich am 27. April 1919 in Bochum 60 Meister zu einer Fachgruppe unter dem Namen „Vereinigung Rheinisch-Westfälischer Straßenbahn-Meister“ zusammen.
Zur Zeit der Gründung der Vereinigung war ein Teil der Verkehrsbetriebe im Rheinisch-Westfälischen Industriegebiet schon fast 50 Jahre alt. Die Umstellung von Pferde- und Dampfbahnen auf elektrischen Betrieb war längst vollzogen. Begonnen hatte die planmäßige Massenbeförderung von Fahrgästen mit der Inbetriebnahme einer Pferdebahn im Jahre 1872 in Elberfeld-Barmen. In den folgenden Jahren kamen Düsseldorf, Köln, Aachen, Hagen und Bonn dazu. Ein Jahrzehnt später wurden die Bahnen schon als Dampfbahnen gebaut, so in Dortmund, Duisburg, Krefeld, Bonn und anderen Städten. Im Jahre 1893 wurden in Remscheid und Essen die ersten elektrisch angetriebenen Bahnen in Betrieb genommen. In Hagen wurde 1895 eine Straßenbahn mit Akkubetrieb eingerichtet, die später auf Oberleitungsbetrieb umgebaut wurde.
Dem Zuge der fortschreitenden Entwicklung folgend, wurden die Fahrzeuge immer größer, moderner und die Einrichtungen derselben immer komplizierter. Wartungs- und Unterhaltungsarbeiten erforderten
mehr technisches Wissen und Können. Aus dieser Erkenntnis heraus suchten die Meister nach einer Möglichkeit, sich weiterbilden zu können und einen Erfahrungsaustausch mit den Nachbarbetrieben zu
pflegen. Auf Anregung einiger Kollegen aus Bochum kam es am 27. April 1919 zum Zusammenschluss. Nach der Satzung, welche heute noch Gültigkeit hat, sollte der Zweck und das Ziel der
Vereinigung sein, die Meister der Betriebe persönlich einander näher zu bringen und durch belehrende Vorträge wie Besichtigungen industrieller Werke und vor allem anderer Verkehrsbetriebe in ihrem
Fortkommen zu fördern. Zur damaligen Zeit also wurde schon Erwachsenenbildung im wahrsten Sinne des Wortes angestrebt. Um in diesem Bemühen frei und unabhängig zu sein, beschloss man, die Tagungen in
der Freizeit, also jeweils sonntags durchzuführen.
Dass die Idee des Zusammenschlusses gut und richtig war, beweist die Tatsache, dass seit der Gründung im Jahre 1919 die Zahl der Mitglieder 1921 schon auf 92 gestiegen war. Viel Gemeinschaftsgeist und auch finanzielle Opfer mussten immer wieder gebracht werden, um die Tagungen interessant und wirkungsvoll zu gestalten.
Aus einer anlässlich des zehnjährigen Bestehens der Vereinigung im Jahre 1929 herausgegebenen Festschrift ist zu entnehmen, dass 33 Tagungen in den verschiedensten Städten im rheinisch-westfälischen
Raum durchgeführt wurden. Die Versammlungen wurden stets gut besucht und die verschiedensten Fachfragen behandelt. Wie rege das Leben innerhalb der Vereinigung war, sei an nachfolgenden Beispielen in
die Erinnerung zurückgerufen. Im Jahre 1921 wurde unter den Mitgliedern ein Wettbewerb für betriebssichere Lichtkupplungen ausgeschrieben und aus den eigenen Beiträgen drei Preise im Werte von
insgesamt 200,00 DM ausgesetzt. Dass man Erfolg hatte, beweist die Tatsache, dass für denn ersten Preis eines Essener Kollegen ein Patent erteilt wurde.
Das Auf und Nieder im damaligen Wirtschaftsleben ist auch an der Vereinigung nicht spurlos vorübergegangen. Wegen der Geldentwertung und völliger Mittellosigkeit der Kasse konnten von 1922 bis 1924 keine Tagungen durchgeführt werden. Mutige und opferbereite Kollegen fanden sich nach überstandener Inflation wieder bereit, die Vereinigung zu neuem Leben zu erwecken. Die Tagungen wurden wieder regelmäßig durchgeführt und das Tätigkeitsfeld noch erweitert. Studienreisen nach Hamburg und sogar in die Schweiz wurden veranstaltet. Im Jahre 1925 wurden aus Mitteln der Vereinigung zwei Kollegen zur Münchener Verkehrsausstellung entsandt, um später in Versammlungen über technische Neuheiten zu berichten. Infolge der damaligen politischen Verhältnisse und durch die angeordnete neue Namensgebung mit Gleichschaltung kam die Tätigkeit nach dem Jahre 1933 völlig zum Erliegen.
Nach dem totalen Zusammenbruch 1945 und dem Wiederaufbau, auch der Verkehrsbetriebe, hat die Vereinigung im Jahre 1951 ihre Arbeit neu begonnen. Besonderer Anlass dazu war die Ausstellung Schiene und Straße in Essen. Gleich die erste Tagung war ein voller Erfolg und wurde von 72 Kollegen besucht. Mann beschloss, wieder regelmäßig zu tagen und jährlich drei Versammlungen abzuhalten. Getreu der alten Satzung sollten fachliche Vorträge stattfinden und Besichtigungen veranstaltet werden. Für die verschiedensten Berufssparten wurden außerdem Sondertagungen durchgeführt. Ständig wuchs das Interesse der Kollegen an der Vereinigung, und die Zahl der Mitglieder stieg auf 200 an. Auch das Betätigungsgebiet konnte weit über den rheinisch-westfälischen Raum hinausgeführt werden. Heute findet man Kollegen aus Städten des gesamten Bundesgebietes der Bundesrepublik Deutschland die wir zu unseren Mitgliedern zählen dürfen. Auch Kollegen aus den nach der Wende “neuen” Bundesländer sind bei uns vertreten. Heute zählen wir rund 400 Kollegen aus den verschiedenen Betrieben und aus allen Bereichen rund um den öffentlichen Nahverkehr zu unseren Mitgliedern.
Da es kaum noch reine Straßenbahnbetriebe gab, wurden im Laufe der Zeit die Satzung und der Name der Vereinigung den veränderten Verhältnissen angepasst. Außer Straßenbahn-, Bus- und Obusbetrieb führen die Verkehrsbetriebe zum Teil heute Personenschifffahrt durch und unterhalten Sonderbahnen. Darum wurde beschlossen, dass die Vereinigung fortan den Namen „Freie Vereinigung der Meister öffentlicher Verkehrsbetriebe“ führt. Wie das Betätigungsfeld erweitert wurde, so wurden auch die Tagungen in immer weitere Gebiete getragen. Neben Besichtigungen von neuen Betriebshöfen und Werkstätten der nachbarlichen Verkehrsbetriebe sind auch allgemeinbildende Tagungen durchgeführt worden. In zwei Tagungen in den 70er Jahren mit der Berufsgenossenschaft der Straßen-, U-Bahnen und Eisenbahnen wurden die gesetzliche Unfallversicherung und Sicherheit am Arbeitsplatz behandelt. Aus diesen Anfängen können wir heute auf eine nunmehr 26 jährigen Tagungspartnerschaft zurückblicken. Dabei wurden in den letzten 25 Jahren in Verbindung mit der BG-Bahnen jeweils zwei Fachtagungen mit je 25 Teilnehmern aus dem gesamten Bundesgebiet abgehalten. Mit besonderen Stolz blicken wir auch auf die besondere Form dieser Tagungen und den damit verbundenen Erfolg zurück.
Sehr starke Anteilnahme fanden auch, um nur einige zu erwähnen, die Tagungen bei Waggonfabriken und Fahrzeugherstellern, sowie bei vielen bekannten Zulieferbetrieben der
Nahverkehrsindustrie. Vom Jahre 1951 bis 1969 wurden 53 Tagungen mit einer durchschnittlichen Teilnehmerzahl von 108 Mitgliedern abgehalten. Unvergesslicher Höhepunkt der Veranstaltungen war
sicherlich die im Jahre 1958 durchgeführte, zweieinhalbtägige Fahrt zur Weltausstellung nach Brüssel. Ohne die Organisation und finanzielle Hilfe durch die Vereinigung wäre wohl mancher Kollege nicht
zu dieser Ausstellung gekommen.
Aus den anfänglichen 3 Tagungen im Jahr wurde durch das stetige Bemühen der jeweiligen Vorstände die Fachtagungsanzahl pro Jahr auf 13 Tagungen gesteigert. Durch die Erhöhung der Tagungsanzahl ist
eine zielgerichtete Bedienung der vielfältigen fachlichen Gruppen in der Vereinigung möglich. Ziel der Vorstandsarbeit ist eine fachlich ausgewogene Tagungsvielfalt vorzubereiten und zu planen